Sonntag, 23. August 2009

Die Ruhe dieser Welt

Er sieht aus, wie man sich einen Uhrmacher vorstellt: weißes Haar, stechender Blick, den Körper leicht vornüber gebeugt. Sorgfältig streicheln seine Hände über die mitgebrachte Uhr. Er zieht eine Augenbraue hoch. „Das ist eine schöne Uhr“, sagt er, "warum geht sie nicht mehr?“

Ja, wenn ich das wüsste. Deshalb bin ich ja hier. Er seufzt. Ich auch. Er nimmt eine Pinzette, entfernt das Klebeband, das mein Vater um das Uhrwerk gewunden hat. „Wollte die Batterie selbst austauschen, was?“, fragt er, schaut hoch, fast ein bisschen triumphierend. "Ich will mich ja nicht größer machen als ich bin, aber für manche Sachen braucht man halt doch...", sagt er, ich sage: „... einen Uhrmacher." Kurze Pause, gemeinsames Seufzen.

Und jetzt? Der Uhrmacher hat eine Lupe an sein Auge gezogen, er beugt sich über das Uhrwerk. Es vergehen Minuten. Niemand sagt ein Wort. Und erst jetzt höre ich das Ticken, es war die ganze Zeit schon da, aber weil es so dicht ist, so ganz ohne Anfang und Ende, habe ich es völlig überhört. Es tickt hell und dunkel, schnell und langsam, klangvoll und blechern - alles gleichzeitig. Wirklich überall sind Uhren. Sie hängen an der Wand, liegen auf Regalen, stehen auf dem Boden. Ihre Körper sind aus Holz, aus Leder, aus Messing, aus Plastik. Es gibt schlichte und verschnörkelte, mit römischen Ziffern und arabischen; es gibt Kuckucksuhren, Armbanduhren, Stiluhren, HSV-Uhren, Küchenuhren, Kinderuhren, Quarzuhren, Taschenuhren und Reisewecker. Ständig ruft es "Kuckuck", von irgendwo her. Oder es singt ein Wal zur vollen Stunde, das ist wohl jetzt der letzte Schrei.

Ob der Uhrmacher das alles noch wahrnimmt? Er nimmt seinen Kopf hoch. „Da tut sich nichts“, sagt er und legt die Lupe zur Seite. „Das Uhrwerk ist kaputt.“

Ich beschließe, dass ich einen Wecker möchte. Das freut den Uhrmacher. „Ich nehme einen von denen“, sage ich und zeige auf den alten Holzschrank mit den Schiebetüren. „Ja, diese kleinen hier, die mag ich auch gern“, sagt der Uhrmacher. „Diese alten Wecker, die haben ja noch eine richtige Seele.“

Er spricht über Uhren, als wären sie Menschen. Als ein Kunde in den Laden kommt und eilig nach einem Ersatzteil fragt, schaut ihn der Uhrmacher lange an. Dann sagt er: „Ihre Uhr scheint sehr alt zu sein, sie sollten sie ernst nehmen.“

Dann ist der Laden wieder leer, nur das Ticken füllt den Raum. Der Uhrmacher erzählt mir eine letzte Geschichte. Von dieser Frau, die neulich in seinem Laden stand und so zärtlich über einen der Wecker strich, dass er es nicht vergessen kann. Die Frau war sehr klein, mit der Hand zeigt er auf die Höhe seines Bauchs. „Sie sagte: Ich suche ein Bett, aber eines, das mir nicht zu groß ist, und wenn ich das gefunden habe, kaufe ich diesen Wecker. Würden sie ihn mir zurücklegen?“ Der Uhrmacher seufzt.

„Natürlich habe ich das, es war ja mein schönster. Eingeschlagen in Schweinsleder, das Ziffernblatt schwarz, es hat geglänzt wie Juwelen. Und wissen Sie was? Sie ist tatsächlich wiedergekommen. Ein dreiviertel Jahr später. Und hat den Wecker gekauft."

Sonntag, 12. Juli 2009

Und plötzlich ist Sommer

Die Fußgängerzone ist voll, wo ist bloß diese Krise, von der alle schreiben? In Ottensen auf jeden Fall nicht. Ich kaufe einen Milchshake für drei Euro dreißig und verzichte darauf, die Summe in Mark umzurechnen und mich aufzuregen. Weil es ein schöner Moment ist, und die sind so selten. Die kostbare Stille zwischen zwei Regenschauern, ein Samstagnachmittag. Sonst wär ich jetzt im Stadion.

Da dringt plötzlich Pachelbel an mein Ohr. Ich drehe mich um.

Vor dem Mercado haben sich vier Musiker aufgestellt, zwei Geiger, zwei Kontrabassisten. Sie spielen wunderschön, und alle bleiben stehen. Punks und Papas mit Kinderwagen, alte Menschen und kleine Kinder, die ein bisschen unbeholfen vor den Musikern hin- und herschwanken. Sie mögen den Klang und die Melodie, alle mögen diese Melodie.



Als der Kanon vorbei ist, sind die Menschen gerührt, auch ich, so schnell kann das gehen. "Woher kommt ihr", will eine Frau wissen, und einer der Kontrabassisten mit rotem Vollbart und Schiebermütze sagt: "Aus Polen." Er zeigt auf sich und die anderen drei: "Musikstudenten." Dann gibt es einen ungarischen Tanz. Und plötzlich sehr viel Wind. Die Noten der Geiger wirbeln durch die Luft, landen auf den Schultern der Passanten, die plötzlich anhalten und sich bücken und die Noten aufsammeln. Sie bringen sie zurück zu den Musikern, die einfach weiterspielen, weil sie die Noten gar nicht brauchen. Die Zuhörer applaudieren.

Der Regen setzt ein, die Musiker aus. Sie schauen sich kurz an. Auf vier legen sie wieder los: Vivaldi. Der Sommer.

Dienstag, 30. Juni 2009

Fußballkrieg und Scheidungskinder

Fünf Tage ist es her, dass für mich eine kleine Welt zusammengebrochen ist, ja, das mag albern klingen, aber es ist so. Didi Beiersdorfer hat den HSV verlassen, im ersten Moment konnte ich es nicht glauben, im zweiten konnte ich es immernoch nicht glauben.

Ok: Es war ja nie wirklich gut gewesen. Ich weiß. Dietmar Beiersdorfer, der abwägende Sportchef, und Bernd Hoffmann, der zackige Finanzverwalter, das war keine Liebesbeziehung, das war vor allem: viel Kampf. Aber das wurde uns Fans ja immer als richtig verkauft. Reibung erzeugt Energie, und Energie bringt voran, hieß es immer, und darauf habe ich mich verlassen, emotional verlassen. Bis Donnerstag. Seitdem fühle ich mich wie ein Scheidungskind. Ein bisschen verraten, ein bisschen verkauft, und ziemlich beschissen.

Es tat gut, die Reaktionen zu lesen. Uli Hoeneß und Ottmar Hitzfeld haben die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen, genau wie wir Fans. Das Fußballerherz hat gegen den Finanzmann verloren. Klingt wie eine Geschichte, die perfekt in unsere Zeit passt.

Sonntag, 17. Mai 2009

Suck It Crosby


Mein erstes Eishockey-Match, Game 7, das letzte der Serie. Das alles entscheidende Spiel.

Es wird ein großer Alptraum sein, aber davon später. Oder sogar nie.

Für jetzt nur den Moment davor: Wimmelnde Vorfreude in der Bar Louis; Gesänge, Bier, Glück in den Augen der Fans. Dankbarkeit, dass man dabei sein darf. Rote Trikots, wohin man schaut.

Auf unserem Weg in die Halle: Die 8 auf dem Rücken eines Fans, Ovechkins Nummer, ein Caps-Trikot, Kostenpunkt: 90 Dollar im Laden.

Drei Worte über der Nummer, aber nicht der Name Ovechkin. Sondern:

SUCK IT CROSBY.

Ich beginne zu überlegen: Er hat sich ein Trikot gekauft und es beflocken lassen, nur zu diesen Play-Offs. Beflocken lassen mit dem Namen des Gegners, den er nicht besonders mag, das schließe ich aus den drei Worten. Die ihn mindestens nochmal 30 Dollar extra gekostet haben.

Wozu braucht eine Mannschaft Titel, wenn sie solche Fans hat?

Mittwoch, 13. Mai 2009

Meine Schwester Dorle, Ovie und ein Arsch namens Crosby



„Das ist der Arsch“, sagt meine Schwester und zeigt Richtung Fernseher, wo gerade die Eishockey-Playoffs laufen, wir trinken ein Bier.

Noch nie habe ich mit meiner Schwester zusammen Eishockey geguckt. Noch nie hat sie einen Eishockey-Spieler ein Arsch genannt. Irgendetwas muss passiert sein.

Deshalb versuche ich, die Dinge für mich zu ordnen. Eins nach dem Anderen. Der Arsch auf dem Bildschirm heißt also Sidney Crosby und sieht, da bin ich ehrlich, im Grunde ganz gut aus. Nur spielt er offenbar beim falschen Team – er ist Stürmer bei den Pittsburgh Penguins, und wenn die Pinguine dieses Spiel gewinnen, fliegen die Washington Capitals vielleicht aus den Playoffs. Das darf natürlich nicht passieren.

Im Fernsehen zeigen sie ein kurzes Interview mit Crosby. „Der mit seinem ständigen you know you know, das nervt total, da ist Ovie mit seinem Russisch-Englisch doch tausend Mal cooler“, sagt meine Schwester.

Dieser Ton kommt mir irgendwie bekannt vor. Nur aus einem anderen Kontext. So klang Dorle immer, wenn sie Fußball-Bundesliga geguckt hat. Aber wie soll man Fußballfan bleiben in den USA? „Das ist total scheiße“, sagt Dorle, „man sieht die Spiele im Fernsehen und jubelt wenn ein Tor fällt, aber niemand jubelt mit einem, und am nächsten Tag steht auch nix in der Zeitung.“

Notgedrungen hat sich Dorle also eine neue Sportart gesucht. Sie ist nun Eishockey-Fan. Obwohl, genauer gesagt: Sie ist Fan von den russischen Spielern im amerikanischen Eishockey. Ich glaube, die erinnern sie irgendwie an Europa. Sie tragen kommentarlos ihre Vokuhilas, halten ihre Zahnlücken in die Kameras, sie sind richtige „Goofs“, so hat ein Sportjournalist die Jungs hier genannt. Totale Spacken. Und klar: Dagegen sehen geschliffene College-Boys wie dieser Crosby keinen Stich. „Ausserdem ist der doch nur neidisch, im letzten Spiel hat Ovie einen Hattrick geschossen und alle Caps-Fans haben vor Freude ihre Mützen aufs Eis geschmissen. Und da hat dieser Crosby doch tatsächlich gefragt, ob das hätte sein müssen.“ Super ist das. Jetzt regt sie sich richtig auf.

Ich fange an nachzudenken. Über Eishockey und Fußball und die Frage, wie man eigentlich Fan wird. Bin ich selbst zum Fußball gekommen oder der Fußball zu mir? Ich habe ihn ja relativ spät entdeckt, lange nach Dorle. Aber in Sachen Sport war sie schon immer etwas extremer. Oder sagen wir: begabter. Zumindest was das Hassen von Gegnern betrifft.

Inzwischen geht Dorle regelmäßig zu den Spielen, auch wenn die Tickets ein Vermögen kosten. Sie beobachtet die Spieler beim pre-game practice, sie kennt ihre Geschichten, weiß was sie gesagt haben, neulich im Interview. Solche Sachen. Für das letzte Match der Playoffs will sie versuchen, Karten zu kriegen.

Ich nicke. Schlucke kurz, weil ich ahne, was Tickets hier kosten, aber ist ok, ich sage: "Klar, da müssen wir hin." Ich kann sie so gut verstehen. Man will halt nicht allein vor dem Fernseher sitzen, auch wenn man seine Sportart noch so liebt. Man will vor dem Spiel ein Bier trinken gehen, die Tatik besprechen und die Tore des letzten Spiels, man will mit tauben Ohren aus dem Stadion schleichen. Man will Siege feiern und Niederlagen erleiden, genau dazu ist man ja da. Man will über die Schiedsrichter schimpfen, man will sich bemitleiten und ja: auch aggressiv werden. Man will den Gegner mal ein Arschloch nennen dürfen. Einfach, weil einem das Gesicht nicht gefällt. Egal was. Hauptsache: Nach dem Schlusspfiff nicht alleine sein.

Deshalb ist man Fan einer Mannschaft. Und es ist einfach wunderbar, das gefunden zu haben. Egal wo auf der Welt.

Mittwoch, 6. Mai 2009

Rausgeschmissen, abgestiegen, Hosen runter.


Und am Ende bleibt es doch Fußball, ein Spiel von 22 einfachen Männern, die 90 Minuten gegen den Ball treten - Vierte Liga hin, Champions League her.

"A football boss was barred from a pub for dropping his trousers at a staff party. Cheltenham Town manager Martin 'Mad Dog' Allen was asked to leave the Salisbury after allegedly taking off his shirt and parading around the pub with his trousers around his ankles. The club said in a statement: "Martin Allen would like to apologise for any offence caused. The incident, while regrettable, was a minor one. It was simply a bit of high jinks at the end of an enjoyable evening." Cheltenham were relegated to League Two at the weekend."

(Aus: Manchester Evening News, 8. Mai 2009)

"... Meanwhile, Arsenal London striker Nicklas Bendtner has apologised for his behaviour following the defeat in the 2nd leg of the Champions League semi-final. The Denmark international was pictured leaving a London nightclub at 4am yesterday morning with his belt undone and jeans pulled down. "Getting knocked out was a massive blow," Bendtner said. "However, no matter how disappointed I was, it does not excuse my behaviour later in the evening."

(Aus: The Guardian, 7. Mai 2009)

Samstag, 18. April 2009

Margret, Kevin Keegan and his curly mop


Nein, ich bin nicht von hier, ich komme aus Hamburg, sage ich. „Aus Hamburg, oh wie toll“, sagt Margret, Ende 60, blond, betrunken. Sie kauft mir gleich ein Bier. „Aber bitte nur ein halbes, ich kann nicht mehr“, sage ich, sie lacht asthmatisch und stellt mir ein ganzes Pint vor die Nase. Davon hatte ich bereits drei, dazu fünf Zigaretten, und bei der sechsten lernte ich Margret kennen, Margret aus Liverpool.

„Und für welches Team bist du?“, fragt sie, und obwohl ich schon oft in Liverpool war und obwohl ich zwei Trikots vom FC Liverpool besitze, fände ich es vermessen jetzt zu sagen: den FC Liverpool. Margret ist Fan vom FC Liverpool, seitdem sie ein Kind ist, sie hat einen Cousin in Hillsborough verloren und neulich, auf dem Heimweg vom Aston Villa Match („5:0, Iris, wir siegten 5:0!“), ist sie gestolpert und hat sich das Handgelenk gebrochen. Seitdem trägt sie einen Gips.

Also sage ich: „Hamburg SV.“

„Oh my god“, sagt Margret und haut mir auf den Oberschenkel, „da hat doch Kevin Keegan gespielt!“ Jetzt ist sie nicht mehr zu halten. „Kevin Keegan, der erste Superstar, den wir hier hatten... Gott, ich weiß noch wie er von Liverpool nach Hamburg gegangen ist, wir waren total traurig, aber irgendwie auch stolz.“ Sie trinkt einen großen Schluck Bacardi Cola. „Kennst Du Kevin Keegan?“

„Äh, ja klar“, sage ich, aber Margret hört schon gar nicht mehr zu, quer über den Tisch brüllt sie rüber zu Bryan, „hey, das war doch unser erster Fußballstar, oder?“, brüllt sie, „lange vor David Beckham.“

Bryan ist gerade sehr mit seinem Guinness beschäftigt. Er hört Margret nicht. „Oy!!! Bryan, hör mir mal zu, wir reden über Kevin Keegan“, sie wendet sich wieder zu mir und fuchtelt wild mit den Händen über ihrem Kopf, „you know, Kevin Keegan, with his curly mop.“ Fast habe ich mich am Bier verschluckt, das ist großartig, ein großartiges Wort, um eine Frisur zu beschreiben. A curly mop. Das merk ich mir.

Jetzt muss auch Bryan lachen. Er ist ein ziemlich betrunkener Schotte, aber auch die können ja trotzdem immer über Fußball reden. „Hast Du Beckham schon mal tackeln gesehen, Margret, hast du den schon mal irgendwann vernünftig tackeln sehen?“, fragt er, und die schüttelt den Kopf. Ich beschließe, einfach gar nichts mehr zu sagen. Nur jeden Satz in Gedanken mitzuschreiben.

Und schon hat Margret ihren nächsten Einsatz. "War doch eh alles egal, sobald Kenny Dalglish für uns spielte." Margret greift sich das kleine Heftchen vom Hillsborough-Gedenkgottesdienst. Sie war da, heute Morgen, zusammen mit 30.000 anderen Liverpoolern. "Weißt du, Iris, mit Kevin und Kenny ist das wie mit Frank Lampard und Steven Gerrard. Lampard und Keegan mussten erst gute Spieler werden, King Kenny und unser Stevie waren es schon immer."

Ich habe verstanden. Ich gehe eine Runde Bier für alle kaufen. Und ein Glas Bacardi-Cola für Margret. Ich soll sie anrufen, hat sie beim Abschied gesagt, wenn ich heil zurück nach Hamburg gekommen bin. 

Vielleicht mache ich das sogar.

Freitag, 10. April 2009

Ein letztes Bier im Wohlers Eck

Es ist drei Uhr, sie steht hinter dem Tresen, ich hab sie hier noch nie gesehen. Bekomme ich noch ein Bier, frage ich, aber wirklich nur noch eins, sagt sie und ich sage ok und setze mich, und dann bemerkt sie mich gar nicht mehr. Am Tresen sitzt ein junger Mann.

Sie sagt, kennst Du diese Musik, und er schaut in seinen Weißwein und lacht, natürlich kenne ich die, sagt er und legt den Kopf ein bisschen schief. Ich frage: Wo ist sie her? Sie sagt, aus Kurdistan, mein Vater war Hirte, dann ist er nach Deutschland gegangen, als Gastarbeiter. Er fragt sie etwas auf Türkisch, sie lacht und rückt ihr Dekolleté zurecht, es ist üppig und überhaupt ist sie sehr hübsch. Sie blickt herüber zu mir. Wir sind Aleviten, weißt Du?

Jetzt summen beide zur Melodie.

Neulich habe ich über das Internet mal wieder Radio Istanbul gehört, sagt sie, da haben sie dieses Lied gespielt, ich hab mich total gewundert.

Wovon singt er?, frage ich.

Von meinem Dorf, das ist total verrückt, das kennt in der Türkei echt niemand, es gibt nur drei Hütten und jede Menge Ziegen, aber trotzdem hat mal jemand ein Lied drüber geschrieben.

Er sagt, mein Vater war auch Hirte, aber er konnte lesen, deshalb ist er nach Hamburg gekommen, da haben sie Leute gesucht zum Schiffebauen. Siehst du, sagt sie, meiner konnte weder lesen noch schreiben, er ist nach Kassel gegangen, ins Bergwerk.

In Kassel gibt es ein Bergwerk?, frage ich und sie sagt: Naja, heute nicht mehr. Aber damals.

Dann beginnt sie wieder zu summen, und er schaut sie an und lacht, und der Tag hebt ab in diesem Moment. Hamburg hat 3:1 gegen Manchester City gewonnen, der Volkspark hat gebebt, so habe ich ihn noch nie gespürt. Die Reeperbahn war voller Engländer, aber nichts ist passiert, alles war friedlich. Sehr betrunken friedlich.

Jetzt musst du gehen, sagt sie, es ist schon spät.

Selbst Boy ist schon weg, der Taxifahrer mit dem kaputten Taxi, der immer vorn bei den Zapfhähnen sitzt. Ich ziehe meine Jacke an und gehe heim. Draußen zwitschern die Vögel.