Samstag, 18. April 2009

Margret, Kevin Keegan and his curly mop


Nein, ich bin nicht von hier, ich komme aus Hamburg, sage ich. „Aus Hamburg, oh wie toll“, sagt Margret, Ende 60, blond, betrunken. Sie kauft mir gleich ein Bier. „Aber bitte nur ein halbes, ich kann nicht mehr“, sage ich, sie lacht asthmatisch und stellt mir ein ganzes Pint vor die Nase. Davon hatte ich bereits drei, dazu fünf Zigaretten, und bei der sechsten lernte ich Margret kennen, Margret aus Liverpool.

„Und für welches Team bist du?“, fragt sie, und obwohl ich schon oft in Liverpool war und obwohl ich zwei Trikots vom FC Liverpool besitze, fände ich es vermessen jetzt zu sagen: den FC Liverpool. Margret ist Fan vom FC Liverpool, seitdem sie ein Kind ist, sie hat einen Cousin in Hillsborough verloren und neulich, auf dem Heimweg vom Aston Villa Match („5:0, Iris, wir siegten 5:0!“), ist sie gestolpert und hat sich das Handgelenk gebrochen. Seitdem trägt sie einen Gips.

Also sage ich: „Hamburg SV.“

„Oh my god“, sagt Margret und haut mir auf den Oberschenkel, „da hat doch Kevin Keegan gespielt!“ Jetzt ist sie nicht mehr zu halten. „Kevin Keegan, der erste Superstar, den wir hier hatten... Gott, ich weiß noch wie er von Liverpool nach Hamburg gegangen ist, wir waren total traurig, aber irgendwie auch stolz.“ Sie trinkt einen großen Schluck Bacardi Cola. „Kennst Du Kevin Keegan?“

„Äh, ja klar“, sage ich, aber Margret hört schon gar nicht mehr zu, quer über den Tisch brüllt sie rüber zu Bryan, „hey, das war doch unser erster Fußballstar, oder?“, brüllt sie, „lange vor David Beckham.“

Bryan ist gerade sehr mit seinem Guinness beschäftigt. Er hört Margret nicht. „Oy!!! Bryan, hör mir mal zu, wir reden über Kevin Keegan“, sie wendet sich wieder zu mir und fuchtelt wild mit den Händen über ihrem Kopf, „you know, Kevin Keegan, with his curly mop.“ Fast habe ich mich am Bier verschluckt, das ist großartig, ein großartiges Wort, um eine Frisur zu beschreiben. A curly mop. Das merk ich mir.

Jetzt muss auch Bryan lachen. Er ist ein ziemlich betrunkener Schotte, aber auch die können ja trotzdem immer über Fußball reden. „Hast Du Beckham schon mal tackeln gesehen, Margret, hast du den schon mal irgendwann vernünftig tackeln sehen?“, fragt er, und die schüttelt den Kopf. Ich beschließe, einfach gar nichts mehr zu sagen. Nur jeden Satz in Gedanken mitzuschreiben.

Und schon hat Margret ihren nächsten Einsatz. "War doch eh alles egal, sobald Kenny Dalglish für uns spielte." Margret greift sich das kleine Heftchen vom Hillsborough-Gedenkgottesdienst. Sie war da, heute Morgen, zusammen mit 30.000 anderen Liverpoolern. "Weißt du, Iris, mit Kevin und Kenny ist das wie mit Frank Lampard und Steven Gerrard. Lampard und Keegan mussten erst gute Spieler werden, King Kenny und unser Stevie waren es schon immer."

Ich habe verstanden. Ich gehe eine Runde Bier für alle kaufen. Und ein Glas Bacardi-Cola für Margret. Ich soll sie anrufen, hat sie beim Abschied gesagt, wenn ich heil zurück nach Hamburg gekommen bin. 

Vielleicht mache ich das sogar.

Freitag, 10. April 2009

Ein letztes Bier im Wohlers Eck

Es ist drei Uhr, sie steht hinter dem Tresen, ich hab sie hier noch nie gesehen. Bekomme ich noch ein Bier, frage ich, aber wirklich nur noch eins, sagt sie und ich sage ok und setze mich, und dann bemerkt sie mich gar nicht mehr. Am Tresen sitzt ein junger Mann.

Sie sagt, kennst Du diese Musik, und er schaut in seinen Weißwein und lacht, natürlich kenne ich die, sagt er und legt den Kopf ein bisschen schief. Ich frage: Wo ist sie her? Sie sagt, aus Kurdistan, mein Vater war Hirte, dann ist er nach Deutschland gegangen, als Gastarbeiter. Er fragt sie etwas auf Türkisch, sie lacht und rückt ihr Dekolleté zurecht, es ist üppig und überhaupt ist sie sehr hübsch. Sie blickt herüber zu mir. Wir sind Aleviten, weißt Du?

Jetzt summen beide zur Melodie.

Neulich habe ich über das Internet mal wieder Radio Istanbul gehört, sagt sie, da haben sie dieses Lied gespielt, ich hab mich total gewundert.

Wovon singt er?, frage ich.

Von meinem Dorf, das ist total verrückt, das kennt in der Türkei echt niemand, es gibt nur drei Hütten und jede Menge Ziegen, aber trotzdem hat mal jemand ein Lied drüber geschrieben.

Er sagt, mein Vater war auch Hirte, aber er konnte lesen, deshalb ist er nach Hamburg gekommen, da haben sie Leute gesucht zum Schiffebauen. Siehst du, sagt sie, meiner konnte weder lesen noch schreiben, er ist nach Kassel gegangen, ins Bergwerk.

In Kassel gibt es ein Bergwerk?, frage ich und sie sagt: Naja, heute nicht mehr. Aber damals.

Dann beginnt sie wieder zu summen, und er schaut sie an und lacht, und der Tag hebt ab in diesem Moment. Hamburg hat 3:1 gegen Manchester City gewonnen, der Volkspark hat gebebt, so habe ich ihn noch nie gespürt. Die Reeperbahn war voller Engländer, aber nichts ist passiert, alles war friedlich. Sehr betrunken friedlich.

Jetzt musst du gehen, sagt sie, es ist schon spät.

Selbst Boy ist schon weg, der Taxifahrer mit dem kaputten Taxi, der immer vorn bei den Zapfhähnen sitzt. Ich ziehe meine Jacke an und gehe heim. Draußen zwitschern die Vögel.