Montag, 18. Juli 2011

Die gelbe Waschmaschine, oder: 23 Jahre und nichts für die Unsterblichkeit getan

Sie hat sich in die Küche gesetzt, an diese Stelle zwischen Kühlschrank und Fenster, wo es meistens hell ist. Oder wenigstens still. Hier sitzt sie immer, wenn sie schreibt.

Immer, das ist so ein Wort. Das mag er auch gern, denkt sie, und dass er vielleicht geantwortet hat, ein bisschen Zeit ist ja vergangen. Sie klappt ihr Laptop hoch und öffnet ihr Mailprogramm und tatsächlich: Da ist eine Antwort. Lena ist aufgeregt.

Leni, schreibt er, ganze ohne Liebe. Ich brauche immer ganz dringend Vollmilch in meinem Kaffee. Und Zucker. Ich mag es nicht, wenn der Kaffee fertig gekocht ist, aber keine Milch mehr da ist. Ich koche den Kaffee immer in einer Espressokanne. Und ich mag es überhaupt nicht, wenn Milch da ist, aber kein Feuerzeug, um den Gasherd anzuzünden. Ich wohne nämlich mit zwei Rauchern zusammen. Die beiden stecken immer!!! das Feuerzeug ein, das neben dem Gasherd liegt. Diese Halunken. Jetzt habe ich das Feuerzeug mit einer Schnur am Gasherd festgebunden.
Jan.

Sie sagt den Namen laut vor sich hin: Jan. Wie das klingt. Es freut sie, wenn Namen aus einer Silbe bestehen. Sie steht auf und stellt sich an den Herd. Es ist schon spät, sie hat noch einmal Hunger bekommen. Soso, denkt sie, die beiden Halunken, vielleicht sollte ich Nudeln kochen. Da bleibt immer etwas übrig. Sie greift nach der neuen Packung im Schrank über dem Herd.

Gestern war sie einkaufen gegangen, mit leerem Magen, Dosenfisch stand auf der Liste, Schokolade und Nudeln. Als wenn sie ihre Wohnung tagelang nicht verlassen würde. Doch am dringendsten hatte sie Wasser gebraucht. Die Kästen waren leer, schon seit Tagen. Am Häuschen für die Einkaufswagen stand er plötzlich da. Er trug eine Cordhose und ein blaues Hemd mit kurzen Ärmeln, er ist bestimmt viel draußen, dachte sie, als er mit seiner Hand nach dem Einkaufswagen griff. Es war der letzte. Seine Haut war glatt, fast bronzefarben. Sie stellte ihre Wasserkisten auf den Boden.

Er drehte sich um und schaute sie an. Dann die Kisten. Dann wieder sie. „Und jetzt?“, fragte er und lächelte. „Das weiß ich auch nicht“, sagte sie und kaute an ihrem Daumennagel. Wir könnten uns den Wagen ja teilen, dachte sie, aber sagte es nicht. So etwas würde sie niemals sagen. Und dann beginnt der Film.

Er schaut auf den Boden und dann in ihre Augen. Wie alt er wohl sein mag, denkt sie, er sieht ja aus wie ein Junge. „Ja, machen wir das“, sagt er und lacht. „Dann kaufen wir wohl eben zusammen ein?“
Immer ist er am Lachen.

Jan drückt einen Euro in den Münzschlitz. Er stellt ihre Wasserkästen in den Wagen. Die Tasche mit den leeren Colaflaschen behält er bei sich. Gemeinsam gehen sie durch die Drehtür des Supermarkts. Er fragt kommst du aus Hamburg. Sie nickt.

Im Getränkemarkt geben sie ihre Flaschen zurück und bekommen das Pfandgeld. Dann gehen sie durch die Gänge. Lena stellt zwei volle Wasserkisten in den Wagen. „Wie heißt du eigentlich“, fragt sie. „Ich heiße Jan“, sagt er und holt eine Kiste Cola. Dann müssen sie zahlen. Die Frau hinter der Kasse nimmt den Barcodeleser aus der Halterung und zieht ihn zu den Kisten. „Die gehen getrennt“, sagt Lena, und dann, um es ganz deutlich zu machen: „Wir zahlen getrennt.“ Die Frau hinter der Kasse schaut verständnislos. Jan schaut in den Wagen. „Tja, Beziehungskisten“, sagt er ein wenig leise und dann ein paar Sekunden lang gar nichts. Sie sagt, das hast du eben nicht wirklich gesagt.

Lena schaut auf, da steht sie schon in ihrer Küche. Die Nudelpackung liegt auf der Herdplatte. Das Licht im Kühlschrank ist hell. Viel ist ja nicht mehr da, denkt sie, ein Stück Käse, ein Schluck Sekt und ein paar Himbeeren. Dann ist das eben mein Abendbrot. Ein Tag ist das gewesen, sagt sie, oder ich war dieser Tag. Sie löst ihre Haarspange, das braune Haar fällt ihr in Locken auf die Schultern. Im Radio singt ein Sänger aus Frankreich, sie hat den Namen nicht verstanden. Der Klang seiner Stimme ist ruhig und fließend. Fast als würde er eine Geschichte erzählen. Der Sekt brennt in ihrem Magen. Sie setzt sich ans Laptop.

Ich hätte ihm nicht schreiben sollen, denkt sie. Ich kenne ihn doch gar nicht. Vor dem Supermarkt hatte er ihr seine Mailadresse gegeben, dann war sie nach Hause gefahren. Hatte die Wasserkisten in die Wohnung geschleppt, die Kräuter gegossen, sich in die Küche gesetzt.

Dieser Zettel mit seiner Adresse.

„Hast du noch Milch gekauft? Fragt, sehr neugierig - Lena.“
Wenn man schreibt, dann nur diese zwei Sätze, denkt sie.

Sie liest noch einmal seine Antwort. Sie mag sehr, wie er schreibt. Von seiner Küche, dem Gasherd und den beiden Halunken. Da sieht sie, dass an seiner Mail ein Foto hängt. Der Anfang einer schönen Zeile: ein Kühlschrank mit geöffneter Tür, eine Tüte Milch und eine angebrochene Konservendose. Das ist ja seltsam, denkt Lena, sie schaut lang auf das Bild. Er hat doch tatsächlich eine gelbe Waschmaschine.